Werke und künstlerische Aktionen, die die zeitgenössische Kunst in Luxemburg geprägt haben – Top 5

Kunst weckt Gefühle und veranlasst zu vielerlei Interpretationen. Mit ihren Werken lösen einige Künstler Diskussionen aus und tragen so zur Weiterentwicklung einer kritisch denkenden Gesellschaft bei. Wir präsentieren Ihnen die fünf künstlerischen Arbeiten, die seit dem Kulturjahr 1995 offenbar dafür gesorgt haben, dass sich die Regeln der Kunst im Großherzogtum geändert haben. Indem sie Fragen und Kontroversen aufwerfen, spiegeln sie Offenheit und künstlerische Freiheit wider – wesentliche Grundsätze der Kreativität in Luxemburg!

Kunst bedeutet auch Toleranz

Wir befinden uns im Jahr 1995, und Luxemburg-Stadt ist Kulturhauptstadt Europas. Bei der Abschlussprozession der Oktav, einer jährlichen Zeit des Gebets und der Selbstreflexion, kommen die Pilger in der Avenue de la Porte-Neuve an einer verhüllten Skulptur vorbei. Es handelt sich dabei jedoch nicht etwa um ein Werk des Künstlerpaares Christo und Jeanne-Claude, das für seine Installationen an öffentlichen Orten bekannt ist, in deren Rahmen Gebäude verhüllt werden, sondern um eine von einem Gemeindeangestellten unter einer Decke verborgene Skulptur der französisch-amerikanischen Künstlerin Niki de Saint Phalle.

War das Werk mit dem Titel "La Grande Tempérance" (Die große Enthaltsamkeit) für die Gläubigen etwa zu provokativ? Diese "Nana" mit ihren opulenten, farbenfrohen und verdeckten Formen hat in jedem Fall hohe Wellen geschlagen und sogar eine parlamentarische Anfrage rund um die Meinungsfreiheit und die Zensur nach sich gezogen.

Am Ende war es aber nicht das, was man hätte vermuten können. Die Skulptur gehörte zu einer Reihe von 11 Werken, die die öffentlichen Plätze der Hauptstadt vom 30. Mai bis zum 15. September lebendiger gestalteten. Sie wurden nacheinander installiert, durften jedoch erst während der offiziellen Eröffnung alle zusammen enthüllt werden. Aus diesem Grund war "La Grande Tempérance" am Tag der Prozession verhüllt.

Heute kann die Nana im Park der Villa Vauban bewundert werden, wo sie weiterhin in all ihrer Pracht tanzt.

Ist das Kunst oder kann das weg?

Nach zahlreichen Debatten wurde der ursprüngliche Entwurf für das Mudam, das Musée d'Art Moderne Grand-Duc Jean des berühmten chinesisch-amerikanischen Architekten Ieoh Ming Pei, in zwei Teile geteilt: das Musée de la Forteresse (Festungsmuseum) – heute unter dem Namen Musée Dräi Eechelen (Museum Drei Eicheln) bekannt – und das Mudam. Das Gebäude befindet sich auf dem Gelände des Fort Thüngen in Kirchberg und verfügt über knapp 4.800m2 öffentlich zugängliche Fläche und Ausstellungsfläche. Die Bauarbeiten begannen im Jahr 1999 mit einem Budget von 88 Millionen Euro. Das Budget für den Erwerb von Ausstellungsstücken belief sich 2005 auf 825.000 Euro.

Die Eröffnungsausstellung Anfang Juli 2006 trug den Titel "Eldorado". Sie bot ein wahres Panorama zeitgenössischer Kunst: zu sehen waren Gemälde, Skulpturen, Installationen, neue Medien, Fotografien und andere Werke von rund 60 Künstlern. Darunter auch Joe Scanlan aus New York mit seinem Werk "Pay Dirt" (2003). Die Installation aus Kaffeesatz, Gips, Sägemehl, Knochenmehl und Mineralien traf nicht ganz den Geschmack und die Erwartungen aller Besucher, die auf die Eröffnung des Museums lange hatten warten müssen. Das Werk, eine Kritik an der Konsumgesellschaft, lässt sich als einfacher Haufen Blumenerde beschreiben und wurde schließlich zum Symbol für das "Pei-Museum", das nach Ansicht seiner Kritiker das Geld der Steuerzahler nicht wert ist.

Das Werk ist auch heute noch Teil der Sammlung des Mudam, welches mittlerweile eines der renommiertesten Museen der Region geworden ist und internationales Ansehen genießt.

Über die unterschiedliche Wahrnehmung eines Kunstobjekts

Plagiat, scheußliche Parodie, wahrhaftige Profanierung, Verhohnepipelung... Dies sind nur einige der Äußerungen, die über das Werk "Lady Rosa of Luxembourg" der kroatischen Künstlerin Sanja Iveković gefallen sein sollen. Das Werk ist eine verfremdete Replik der "Gëlle Fra" (Goldene Frau), dem Denkmal für die gefallenen Soldaten Luxemburgs, das zu den ikonischsten Denkmälern des Landes zählt. Die Skulptur, die eine schwangere Frau darstellt, und ihr Sockel waren im Frühling 2001 im Rahmen der Ausstellung "Luxembourg, les Luxembourgeois" (Luxemburg, die Luxemburger) des Casino Luxembourg – Forum d'art contemporain in der Nähe des Place de la Constitution aufgestellt worden.

30 Vereine von Veteranen und ehemaligen Widerstandskämpfern taten sich daraufhin mit den Gegnern der "Gëlle Fra 2" zusammen. Gemeinsam sammelten sie 5.000 Unterschriften. Auf diese Weise wollten sie ein Zeichen gegen die "Verfremdung" ihres symbolträchtigen Denkmals setzen, das an die Opfer der Freiheitskämpfer erinnert, und forderten den Rücktritt der damaligen Kulturministerin.

Jedoch war es niemals die Absicht der Künstlerin gewesen, nationale Gefühle zu verletzen. Vielmehr hatte sie auf die schwierige Lage der Frauen in Kriegs-, Krisen- und Konfliktsituationen aufmerksam machen wollen. Gleichzeitig wollte sie das Bild, die Situation und die Stellung der Frau in unserer Gesellschaft hinterfragen. Die Skulptur ist somit eine Hommage an die Hinterbliebenen, vergewaltigten Frauen und Kriegsopfer, aber auch an diejenigen, die die Helden ehren (wie die Gëlle Fra), die Mütter, Prostituierten und viele andere, wie die Inschriften auf dem Sockel belegen.

Die sehr kontroverse Diskussion um die Lady Rosa war nicht unbedeutend und zeigt einmal mehr, die unterschiedlichen Bedeutungen und Werte eines historischen Denkmals und der zeitgenössischen Kunst.. Im Jahr 2011 wurde die Lady Rosa im MoMa, dem Museum of Modern Art in New York, im Rahmen einer Retrospektive der Künstlerin ausgestellt. Im Jahr 2021 wurde ihr durch das Theaterstück "Moi, je suis Rosa!" (Ich bin Rosa) erneut eine Stimme verliehen. Heute ist die Skulptur im Depot des Mudam Luxemburg untergebracht.

Alles ist Kunst

Im Jahr 2007 waren Luxemburg und die Großregion Kulturhauptstadt Europas. Dieses Mal trat der belgische Künstler Wim Delvoye mit seinem Werk Cloaca in der Presse und der breiten Öffentlichkeit einen Wirbel los. Die Ausstellung "Wim Delvoye: Cloaca 2000 – 2007" wurde vom Casino Luxembourg in Zusammenarbeit mit dem Mudam Luxemburg organisiert. Die monografische Ausstellung war dem Projekt Cloaca gewidmet und versammelte zum ersten Mal die acht Maschinen, die der Künstler bis dahin entwickelt hatte, sowie Originalzeichnungen, 3D-Fotografien, Röntgenbilder, Modelle sowie allerlei weitere Objekte. Zum ersten Mal sollten ebenfalls drei Cloaca gleichzeitig laufen: zwei waren während nahezu der gesamten Ausstellungszeit im Casino im Einsatz und eine wurde im Mudam drei Tage lang in Betrieb genommen (anlässlich der Museumsnacht 2007). Für den Künstler erfüllen seine Maschinen einen Menschheitstraum: die Funktionsweise des menschlichen Verdauungsapparates nachzustellen. Für einige Besucher sind sie jedoch ein wahrer Alptraum.

Die Exkremente mögen zwar zum Himmel stinken, doch in den Augen der Biologen handelt es sich um eine interessante Nachstellung des menschlichen Verdauungsapparates. Die Maschinen im Forum für zeitgenössische Kunst wurden von acht örtlichen Restaurants gespeist, und ein Supermarkt stellte unverkaufte Lebensmittel für die "Super Cloaca" im Mudam Luxemburg zur Verfügung. Dem Künstler ist bewusst, dass die Öffentlichkeit seinen Output nicht gerade "politisch korrekt" findet, doch das sind genau die Emotionen, mit denen er zu spielen beabsichtigt.

Die Cloaca produziert "Scheiße" und der Künstler macht diese "Scheiße" (als schön luftdicht verpackte Kunstobjekte) zu Geld. Schon Piero Manzoni hatte im Jahr 1961 Konservendosen mit der Aufschrift "Merda d’artista" (Künstlerscheiße) verkauft, und die Message bleibt unverändert: wir leben in einer Konsumgesellschaft, in der man alles Mögliche zu jedem erdenklichen Preis verkaufen kann – sogar einen Haufen "Scheiße". 

Wim Delvoye ist ein Künstler und Entrepreneur mit einem Geschäftssinn der besonderen Art. Aber er liebt auch das Absurde und den Spott – ganz in der Tradition des belgischen Surrealismus. Seine Kritiker mögen seine Werke eine geschmackliche Entgleisung schelten, seine Liebhaber hingegen sehen darin eine Feier des Humors und der Kunst.

Dies ist keine Provokation

Am 29. Mai 2014, an Christi Himmelfahrt, präsentierte die luxemburgische Performance-Künstlerin mit französischen und italienischen Wurzeln Deborah de Robertis vor dem Gemälde "L'Origine du monde" (Der Ursprung der Welt) von Gustave Courbet, das Teil der Sammlung des Musée d'Orsay in Paris ist, ihre geöffnete Vulva. Dabei trug sie ein goldenes Paillettenkleid und hatte sich goldene Tränen geschminkt. Unterlegt war ihre Performance indes mit Aufnahmen der "Hymne an die Jungfrau" (Ave Maria) von Franz Schubert und ihrer eigenen Stimme. Einige Museumsbesucher applaudierten, doch allgemein sorgte die Aktion eher für Aufruhr und erregte die Gemüter, sodass schließlich sogar die Polizei gerufen werden musste. Nach einigen Stunden in Polizeigewahrsam und einer Ermahnung wurde Deborah de Robertis jedoch am Ende wieder auf freien Fuß gesetzt. Mit diesem Auftritt hat sie in den internationalen Medien für Aufsehen gesorgt und so über Nacht eine gewisse Berühmtheit erlangt.

Anm. d. Red.: Das oben gezeigte Foto zeigt nicht das Werk, das im Musée d'Orsay einen Skandal verursachte. Es wurde ebenfalls retuschiert.

Für die Künstlerin selbst stellt die Aktion keine Provokation dar, sondern eine Änderung des Blickwinkels. Während sie ihr Geschlechtsteil zur Schau stellt, konfrontiert sie gleichzeitig den Betrachter mit seinem Blick. Mit ihrem Werk hinterfragt sie die Stellung der Frau als Modell in der Kunstgeschichte, den nackten weiblichen Körper als aktives Subjekt und nicht als Objekt des männlichen Blicks, und die Haltung, die ein Künstler frei beziehen kann. In unserer heutigen Zeit ist Sex allgegenwärtig und für jedermann über das Internet verfügbar. Doch sobald man ihn in der Welt der Kunst platziert, ändert sich die Sichtweise. Nacktheit ist für Deborah de Robertis eine Form des Protests und ein Werkzeug des kritischen Denkens, um die patriarchalen Systeme in der Kunstszene zu hinterfragen.

Die Künstlerin setzt ihre Performances und ihre von politischer Kritik geprägte künstlerische Tätigkeit unterdessen weiter fort. Sie lebt in Paris, Brüssel und Luxemburg. Das genannte Werk, "Miroir de l’origine" (Spiegel des Ursprungs), ist bis zum 27. Mai 2024 im Rahmen der Ausstellung "Lacan, l'exposition. Quand l'art rencontre la psychanalyse" (Lacan, die Ausstellung. Wenn Kunst auf Psychoanalyse trifft) im Centre Pompidou-Metz zu sehen.