Begegnungsstätten und kreative Industriebrachen in Luxemburg (I)
Bei einer Industriebrache handelt es sich um ein Gelände, das nach der Einstellung der dort ausgeübten Tätigkeit nicht mehr genutzt wird. Durch die Sanierung dieser Standorte wird das Erbe sowohl für die Region als auch für die Bevölkerung aufgewertet. Heute werden Industriebrachen von den Gemeinden oft zu Orten umgestaltet, die für kreative Projekte genutzt werden und das Gemeinschaftsleben fördern sollen. Auf diese Weise wird die Kultur in der Region verankert und sie werden zu wichtigen Orten des sozialen und kulturellen Zusammenhalts. In diesem Artikel stellen wir Ihnen entsprechende Beispiele in Luxemburg vor.
Schläifmillen in Luxemburg-Stadt
Im grünen Tal der Alzette zwischen den Stadtteilen Bonnevoie und Hamm der Stadt Luxemburg können Sie den Standort einer ehemaligen Textilfabrik entdecken: Schläifmillen. Dank der Gebrüder Godchaux gehört sie zu den Highlights des industriellen Textilerbes des Großherzogtums. Die 1830 gegründete Fabrik beschäftigte auf ihrem Höhepunkt 800 Mitarbeiter, und ihr Standort entwickelte sich zu einer wahren Kleinstadt mit Wohnungen, einer Schule, einer Wäscherei und einem Lebensmittelgeschäft. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Fabrik aufgrund des Verlusts des deutschen Markts geschlossen. Der Standort wurde später von der Société d’Études et de Constructions d’Appareils de Levage et de Traction (SECALT) betrieben, gehört jedoch seit 1958 der Gemeinde Luxemburg.
Obwohl einige Gebäude zerstört wurden, wurden die verbliebenen Elemente in den 1980er Jahren saniert. Hier entstanden Wohnungen, ein Ausbildungszentrum und ein Künstlerhaus. In diesem Künstlerhaus, das zugleich Wohnort und Ort der Geselligkeit und des Austauschs ist, finden Workshops von Künstlern der bildenden Künste (Malerei, Bildhauerei, Fotografie und Multimedia) statt. Heute sind hier 15 Künstler und ein Residenzkünstler tätig. Der gemeinnützige Verein Schläifmillen übernimmt die Geschäftsleitung und kümmert sich um die Instandhaltung der Gebäude.
Während des jährlichen Wochenendes der offenen Tür können Sie die Künstler treffen und die Ateliers besuchen.
Sixthfloor in Koerich
Das Kunstkollektiv Sixthfloor wurde 2001 von sechs befreundeten Künstlern gegründet. Sie ließen sich in einer alten Sägemühle in Koerich nieder. 18 Monate lang bauten sie die große Halle des Sägewerks zu Künstlerateliers und einem gemeinsamen Ausstellungsraum, Piazza genannt, um.
Neimillen (neue Mühle) ist ein Flurname im Westen des Landes. Hier wurde von 1795 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs Getreide mit Wasserkraft gemahlen. Die Sägemühle ist seit 1900 urkundlich belegt. Letztere wurde im Laufe der Zeit modernisiert und bis zu ihrer Schließung im Jahr 1991 auf Strom umgestellt.
Heute besteht die Künstlergruppe in der alten Mühle aus sieben Mitgliedern: Lukas Arons, Nadine Cloos, Tom Flick, Katarzyna Kot-Bach, Patrick Meyer, Joachim van der Vlugt und Wouter van der Vlugt. Sie arbeiten mit so unterschiedlichen Techniken und Materialien wie Ton, Holz, eher weicherem Stein und Hartgestein, Bronze, Gips, Aluminium, Acryl oder Ölfarbe. Sie machen nicht nur als Einzelkünstler, sondern auch kollektiv als Gruppe auf sich aufmerksam. Regelmäßig präsentieren junge und etablierte Gastkünstler ihre Werke auf der Piazza den treuen Besuchern des Ortes. Sixthfloor ist in allen seinen Aktivitäten wirtschaftlich unabhängig und autark.
Bei Kunstausstellungen, Konzerten, Performances oder dem alle drei Jahre stattfindenden Bildhauersymposium Musesymposium-triennal haben Sie die Möglichkeit, den Ort zu entdecken und mit den Künstlern ins Gespräch zu kommen.
FerroForum in Esch-Schifflingen
Das Zentrum des "savoir-fer" [Eisen-Know-how] befindet sich in der Zentralwerkstatt des ehemaligen Stahlwerks der Arbed Esch-Schifflingen. Als integraler Bestandteil des Programms des Kulturprojekts Esch2022 ist es heute ein wichtiger Akteur bei der Erhaltung und Förderung des kulturellen, industriellen und handwerklichen Erbes sowie des Know-hows rund um die Herstellung von Eisen und Stahl.
Das FerroForum ist ein Ort der Begegnung, des Austauschs und der Entdeckung, der für ein breites Publikum geöffnet ist. Dieser Ort richtet sich an alle, die sich für die Eisen- und Stahlindustrie interessieren: Künstler, ehemalige Stahlarbeiter, Historiker, Studierende und andere. Die wichtigsten Aktivitäten sind:
- Dokumentation: Archivierung und Forschung zur Eisen- und Stahlproduktion.
- Ausbildung und Kreation: Kreativworkshops und innovative Experimentierlabore.
- Zusammenhalt: gemeinsames Essen sowie fachlicher und generationenübergreifender Austausch im Speisesaal.
Das rund zwanzigköpfige Team trifft sich zwei- bis dreimal pro Woche, um die Räumlichkeiten instand zu setzen, kulturelle Programme und Workshops vorzubereiten sowie Projekte und Kooperationen mit lokalen, regionalen und internationalen Akteuren zu entwickeln.
Wenn Sie sich für Eisen und Stahl begeistern, Zeuge der Vergangenheit der Eisen- und Stahlindustrie oder einfach nur neugierig sind, zögern Sie nicht, an den angebotenen Veranstaltungen teilzunehmen und die Schmelz aus nächster Nähe (wieder) zu erleben.
Bâtiment 4 in Esch an der Alzette
Bâtiment 4 liegt im Areal Schlassgoard von ArcelorMittal Luxembourg, wo früher die Geschäftsführung untergebracht war. Das Unternehmen stellte das Gebäude für einen Zeitraum von drei Jahren der Vereinigung frEsch zur Verfügung, die an der Umsetzung der Kulturstrategie der Stadt Esch an der Alzette mitwirkt. Die Sanierung des Gebäudes am Rande der Industriebrache Esch-Schifflingen erfolgt im Einklang mit der Umwandlung des alten Standorts in ein neues kreatives, familiäres, lebendiges und offenes Viertel.
Das Gebäude mit einer Fläche von 3.000m2 und einer Außenfläche von 5.000m2 ist zu einem kulturellen Drittort für die Bevölkerung geworden. Es wird von einem unabhängigen Kollektiv verwaltet, das sich aus Bewohnern zusammensetzt und auf der Interaktion und Zusammenarbeit der dort ansässigen Vereine und Mitglieder (Hariko, CELL, ILL, Richtung22 und andere) und der Öffentlichkeit basiert, von denen alle an den angebotenen Aktivitäten und Workshops teilnehmen können. Die Werte von Bâtiment 4 sind in einer Charta verankert und verbinden Forschung und Austausch, Partizipation und Weitergabe, künstlerisches Schaffen und kulturelles Leben sowie soziale Innovation und ökologischen Wandel.
Die ständigen Bewohner des Standorts entwickeln langfristige Projekte. Die Kreativräume können - regelmäßig - von externen Projektträgern genutzt werden. Gastkünstler lassen sich hier für einen begrenzten, kurzfristigen Aufenthalt nieder. Ein Koordinierungsteam prüft die Anfragen und stellt sicher, dass alle Bewohner die gleichen Werte und Ziele teilen. Die "Moderatoren" helfen dabei, Beziehungen zwischen professionellen Künstlern, Amateuren, Freiberuflern, Kollektiven und der Öffentlichkeit aufzubauen.
Der Ort kann zu den üblichen Öffnungszeiten kostenlos besichtigt werden. Vergessen Sie nicht, vor Ihrem Besuch die Agenda zu konsultieren, um sich über das aktuelle Angebot zu informieren.
Das Vestiaires & Wagonnage-Gebäude in Düdelingen
Das VEWA – die Umkleide- und Lokomotivgebäude aus der Zeit der Eisen- und Stahlindustrie in Düdelingen – ist ein Ort, der über Monate hinweg von einer Vielzahl von Freiwilligen und örtlichen Vereinen (um)gebaut und renoviert wurde: DKollektiv, Fotoclub Diddeleng, Foodsharing, VELO Diddeleng, CEPA, Urban Garden und Inter-Actions. Heute erwecken diese Partner diesen kreativen Raum mit ihren Aktivitäten und Veranstaltungen zum Leben: Hier kommen Künstler, Handwerker und Publikum zusammen.
Zu den erlebten und vermittelten Werten und Kriterien zählen der Austausch und die Weitergabe von Know-how, Begegnungen, Experimente, Synergien, natürliche und humane Ressourcen, industrielles Erbe, Inklusion, festliche Stimmung, Sicherheit und Wachsamkeit sowie politische und ideologische Unabhängigkeit.
Der Standort ist in verschiedene kreative und einladende Räume gegliedert, die unter anderem den Bereichen Grafik, Fotografie oder Holz und Metall gewidmet sind. Er wird integraler Teil des neuen Viertels NeiSchmelz sein.
Wenn Sie den Vereinen, die dem VEWA angehören und dort zu finden sind, selbst beitreten und sich aktiv an diesem kulturellen und experimentellen Drittort beteiligen wollen, informieren Sie sich über die nächsten Treffen in der Agenda.
Schluechthaus in Hollerich
Der ehemalige Schlachthof der Stadt Luxemburg, der 1997 geschlossen wurde, befindet sich auf einem 2,5 Hektar großen Gelände. Heute sind auf dem Gelände ein Skatepark, der Rettungsdienst - Ambulanzen und Hundeservice des Roten Kreuzes und Lagerhallen untergebracht. Es ist auch eine Galerie der lokalen und internationalen Graffitiszene.
Im Rahmen des Wiederaufbaus der Porte de Hollerich plant die Stadt die Umwandlung des Schluechthaus in einen soziokulturellen Ort. Dieses Zeugnis des Architekturstils der 1930er Jahre und der Industriegeschichte Luxemburgs steht auf der Liste der Gebäude und Objekte, die zum nationalen Kulturerbe gehören.
2019 fand erstmals ein Tag der offenen Tür statt, hier konnten die Bürger Vorschläge abgeben. Die Anregungen, die sich daraus ergeben und durch eine städtebauliche und architektonische Planungsstudie ergänzt wurden, führten zum Gesamtprogramm. Es umfasst vier Kategorien und zugehörige Räume:
- Kunst, Kultur und Bildung: Künstlerateliers, Studios für Künstlerresidenzen, Räume für Proben (Musik, darstellende Künste), Mehrzweckraum, Fab-Lab usw.
- Begegnungsraum für jedermann: Co-Working, Besprechungsräume, Mehrzweckraum, usw.
- Geschäfte: Shops, Bar und Restaurant.
- Räume für körperliche und sportliche Aktivitäten: Skateboard, Inline-Skating, Bmx, Bolder, Parkour, usw.
2023, nach zwei Bewertungsrunden der Jury und einer Bürgerbefragung, gewinnt die Architekturgruppe 2001 & CIVIC und Mersch Ingénieurs-Paysagistes einen europäischen Architekturwettbewerb für die Umnutzung und Entwicklung des ehemaligen Schlachthofs. Weitere Informationen über den Fortschritt des Projekts finden Sie auf der Website der Stadt Luxemburg.
Während man auf den zukünftigen neuen Standort wartet, werden im Schluechthaus sportliche, kulturelle und generationsübergreifende Veranstaltungen organisiert. Diese Zeit vor den Bauarbeiten wird als Testphase genutzt, um zu überprüfen, ob die geplanten Konzepte den Bedürfnissen des Publikums entsprechen.
In einem zweiten Beitrag stellen wir Ihnen das Nationale Zentrum für Industriekultur (CNCI) und seine Präsidentin Marlène Kreins vor. Der Verein engagiert sich unter anderem für die Planung und Umgestaltung von Industriestandorten und -brachen sowie kreative Initiativen, die diesem Zweck dienen.
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