Anne-Marie Reuter erhält den Servais-Preis

Der Servais-Preis, mit dem Werke ausgezeichnet werden, die im Vorjahr in Luxemburg veröffentlicht wurden, zählt zu den namhaftesten nationalen Literaturpreisen. 2025 wurde Anne-Marie Reuter für ihren ersten Roman "M for Amnesia" mit dem Literaturpreis ausgezeichnet. Lernen Sie in dem Roman Millie und Melissa kennen, und erforschen Sie mit ihnen ihre Identität und die unerklärliche Verbindung, die sie teilen.

Zwischen Familiensaga und Science-Fiction-Roman

Im Buch "M for Amnesia" geht es um die Themenkomplexe Gedächtnisverlust und Traumata. Die Geschichte spielt in einer Welt, die vom Klimawandel, von sozialer Ausgrenzung und biopolitischer Kontrolle geprägt ist. In dem Buch geht es um Wissenschaftler, die mit ihrem Ehrgeiz und übermäßigen Vertrauen versuchen, die menschlichen Fähigkeiten durch Experimente an Körper und Geist zu verbessern. Es erzählt das zerrissene und geflissentlich unvollständige Leben von zwei Frauen, Millie und Melissa, die sich fragen, bis zu welchem Punkt sie ihrer Erinnerung trauen können.

Die Jury lobte die Relevanz der Themen und begrüßte den klaren wie sachlichen Stil der Autorin sowie die Art und Weise, wie sie ethische Dilemmata, mit denen die Menschheit konfrontiert ist, abbildet. Sie experimentiert mit innovativen Methoden, um schwer zu beschreibende Gedanken auszudrücken, indem sie Unklares klärt und Ungewisses anspricht, wobei sie die entscheidende Rolle der Sprache bei der Selbstdefinition hervorhebt.

Anne-Marie Reuter erhält als achte Frau den Servais-Preis. Sie ist zudem Autorin der Sammlung von Kurzgeschichten "On the Edge" (2017) und der illustrierten Erzählung "Blue" (2021), und sie war Mitbegründerin des ersten Verlagshauses für englischsprachige Schriftsteller in Luxemburg, Black Fountain Press. 2017 übersetzte sie eine Reihe von Texten des luxemburgischen Dichters Lambert Schlechter in die englische Sprache, die anschließend unter dem Titel "one day i will write a poem" veröffentlicht wurde. 

 

Anne-Marie Reuter - Portrait der Schriftstellerin
© Marc Schroeder
M for Amnesia - Buchcover
© Anne-Marie Reuter

3 Fragen an Anne-Marie Reuter

Was war Ihre Inspirationsquelle für das Buch?

Ich war vom Gehirn, der Erinnerung und der entsprechenden Funktionsweise fasziniert. Was bleibt, wenn die Erinnerung schwindet? Können wir unseren Erinnerungen trauen? Ausgehend von diesen Überlegungen habe ich in meinem Kopf eine Figur skizziert: Millie, eine ältere Frau, die an Amnesie leidet und sich überhaupt nicht mehr an ihr früheres Leben erinnert – aber von erdrückenden Schuldgefühlen geprägt ist. Sie ist davon überzeugt, einen schrecklichen Fehler begangen zu haben, vielleicht ein Verbrechen, aber sie erinnert sich nicht mehr, um was es sich handelt. Da ich mich über Traumata und den Fortschritt der Neurowissenschaften informiert habe, beschloss ich, die Geschichte von Millie und ihrer Suche nach ihrer verlorenen Vergangenheit in die nahe Zukunft zu platzieren. Zum gleichen Zeitpunkt habe ich die zweite Protagonistin entwickelt: Melissa, eine junge Frau, eine digitale Wilde, die ihre High-Tech-Gesellschaft für ein einfacheres Leben in einer alternativen Gemeinschaft verlassen hat.

Was bedeutet der Preis für Sie persönlich?

Viel Freude und große Zufriedenheit. Ich habe sieben Jahre gebraucht, um die Geschichte von Millie und Melissa zu Ende zu bringen. Während dieser Zeit sind diese beiden Figuren zu einem wesentlichen Teil meines Lebens geworden. Es ist ziemlich aufregend zu erkennen, dass andere Menschen sie lieben und ihre Geschichte interessiert und empathisch verfolgen. Und da mit dem Preis das Buch und die "wichtigsten" Themenkomplexe des Jahres ausgezeichnet werden, muss ich Ihnen nicht sagen, wie sehr ich dieses Kompliment zu schätzen weiß.

Welche zukünftigen Projekte stehen bei Ihnen an oder arbeiten Sie bereits an einem nächsten Buch?

Nach dem Servais-Preis erhielt ich einige Bestellungen für Kurztexte. Anschließend würde ich gerne den letzten Band meiner Triologie "Luxembourg" auf den Weg bringen: die beiden ersten Geschichten BLUE und RED, die von Antic Ham illustriert wurden, sind von Redfoxpress 2021 und 2024 in Irland veröffentlicht worden. WHITE wird dieses Projekt abschließen. Und natürlich fasst man stets einen nächsten Roman ins Auge. Ich habe einige Ideen, die ich aber ein bisschen gären lassen werde, bevor ich diese Aufgabe angehe, für die ich dieses Mal dann hoffentlich nicht wieder sieben Jahre brauchen werde.

Wir danken Anne-Marie Reuter für dieses Interview.

Seit bereits 30 Jahren

Der von der gleichnamigen Stiftung vergebene Servais-Preis ist ein mit 7.500 € dotierter Literaturpreis, mit dem seit 1992 jedes Jahr in Luxemburg in Poesie oder Prosa veröffentlichte Werke, unabhängig von der Sprache, in der sie erscheinen, ausgezeichnet werden. Zu seinen Preisträgern/-innen zählen zahlreiche berühmte luxemburgische Schriftsteller/-innen wie Francis Kirps (2020), Elise Schmit (2019), Nico Helminger (2014 et 2018), Nora Wagener (2017), Ulrike Bail (2021) ou Jérôme Quiqueret (2023). Der Servais-Preis wird auf Vorschlag einer unabhängigen Jury vergeben.

Der Servais-Preis wird am 30. Juni 2025 im Nationalen Literaturzentrum in Mersch verliehen.

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