Komposition im Blut Komponist Alexander Müllenbach über seinen Werdegang und Luxemburgs reichhaltige Komponistenszene

Wenn es um Komposition in Luxemburg geht, geht kein Weg an Alexander Müllenbach vorbei. Er nimmt in gewisser Weise eine Vorreiterrolle ein, hat er doch fast alle zeitgenössischen luxemburgischen Komponisten in seiner Klasse unterrichtet. Sein eigenes Werk umfasst über 100 Werke, von denen einige internationale Bekanntheit erlangten. Als Vizepräsident des Musicpublishers eV setzt er sich darüber hinaus für die Förderung der luxemburgischen Komponisten aus über 100 Jahren ein. Ein Blick auf eine außergewöhnliche Karriere eines außergewöhnlichen Mannes.

Ihre Begeisterung für die Musik entdeckten Sie früh, besonders für die Komposition. Wie kam es dazu?

In unserer Familie war jeder musikalisch, auf beiden Seiten. Mein Vater (Geige) und meine Mutter (Klavier) spielten Sonntagmittags Operette. Einige meiner Onkels spielten quasi professionell Tanzmusik, darunter Onkel Fred, der mich unheimlich begeisterte.

Eines Tages, als er uns vorspielte, sagte er: "Jetzt spiele ich euch eine eigene Komposition." Wow, was ist das denn?, dachte ich, und dann wurde mir klar, was das bedeutete.

Ich spielte damals bereits Akkordeon, und machte mich sogleich daran, einen Walzer zu komponieren. Dies wurde meine erste eigene Komposition. Damals war ich gerade 8. Ich schrieb sie dann auch nieder – damals belegte ich bereits Musikunterricht in der Schule in Belair [ein Vorort von Luxemburg-Stadt, Anm.d.Red.], konnte also bereits Noten schreiben. Anschließend bekam ich Klavierunterricht, und so wuchs ich in das Musizieren hinein.

Ihr Werdegang führte Sie anschließend nach Paris und Salzburg, wo Sie teilweise längere Zeit studierten und arbeiteten. Und trotzdem blieb Luxemburg ein gewisses Gravitationszentrum, Sie fanden immer Ihren Weg zurück. Warum?

Ich bin Luxemburger aus ganzem Herzen, und das Schicksal unseres Landes lag mir stets am Herzen. Deshalb gründete ich 1982 einen Kompositionskurs am hiesigen Konservatorium, weil es dieses Angebot in Luxemburg nicht gab und quasi all unsere Komponisten Autodidakten waren. Meine ersten Kompositionsschüler, Claude Lenners und Camille Kerger, gaben diesem Kurs sofort „Klasse“: sie haben sich zu ganz tollen Komponisten entwickelt, die den Vergleich mit dem Ausland nicht scheuen müssen.

Welche Eigenschaften begleiten einen als Luxemburger, wenn man im Ausland arbeitet und lebt?

Eine der wichtigsten Eigenschaften die man als Luxemburger im Ausland hat ist die Tatsache, dass wir, sprachlich wie kulturell, die deutsche wie auch die französische (und auch die angelsächsische) Kultur beherrschen. Einem Luxemburger ermöglicht dies, besonders wenn er in der Kunst- oder Kulturszene tätig ist, einen anderen Überblick und Zugang.

Für mich bedeutete dies einen erheblichen Vorteil, do ich sowohl mit der Musik eines Debussy, Ravel, Messiaen oder Dutilleux vertraut war, als auch mit Schoenberg, Berg oder Hindemith. Bei meinen österreichischen Kollegen war dies allgemein nicht der Fall. Genauso verhielt es sich in der Literatur, der Malerei, usw. Dies spricht für die kulturelle Ausbildung an unseren Gymnasien.  

© Julius Klein

Alexander Müllenbach (*1949) fand früh den Weg zur Musik. Nach Studien in Metz bei Marcel Mercier und am Pariser Conservatoire bei Pierre Sancan, die er 1969 als Bester der Klavierabteilung abschloss, führte sein Weg ihn nach Salzburg ans Mozarteum zu Gerhard Wimberger, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. Nach der Rückkehr nach Luxemburg unterrichtete er ab 1982 Komposition am Luxemburger Conservatoire;  eine ganze Generation Luxemburger Komponisten haben bei ihm gelernt. Parallel dazu führte er an der Universität Mozarteum in Salzburg eine bekannte Tonsatzklasse, die später auch Komposition beinhaltete. 2013 gründete er zusammen mit u.a. dem Violinisten Claude Krier den Musicpublishers eV, der sich für die Veröffentlichung der Werke luxemburgischer Komponisten einsetzt. Er lebt und arbeitet heute in Salzburg.

1971 bekamen Sie eine Professur für Klavier am Konservatorium in Luxemburg und gaben auch Kurse für Komposition. Heute kann man sagen, dass bei Ihnen quasi die ganze zeitgenössische Komponistenszene Luxemburgs gelernt hat, und dass Sie die Entwicklung der Musik in Luxemburg in den letzten Jahrzehnten maßgeblich mitgestaltet haben. Wie hat sich diese Szene in Luxemburg Ihrer Meinung nach entwickelt?

Zusammen mit René Mertzig, der damaligen Koryphäe der luxemburgischen Komponisten, spielte ich im Herbst 1976 ein "Austauschkonzert" mit luxemburgischer Musik an der Albertina in Wien. Das Konzert war von René Hemmer, zusammen mit den österreichischen Komponisten Gottfried von Einem und Robert Schollum arrangiert worden. Diese Beiden spielten ihrerseits im Studio des Luxemburger Theaters ein Konzert mit österreichischer Musik.

Zu dieser Gelegenheit sprach ich viel und gründlich mit Mertzig und Hemmer über den Zustand der Luxemburger Musik, und sie überzeugten mich, dass etwas unternommen werden müsste. So gründete ich später mit einer Handvoll Vertrauten und Gleichgesinnten die "Lëtzebuerger Gesellschaft fir Nei Musek" (Luxemburger Gesellschaft für Neue Musik). Dies war der Beginn einer reichhaltigen Aktivität, mit Bestellungen an Luxemburger Komponisten, Festivals mit Neuer Musik, vielen Uraufführungen, Verpflichtungen für Wettbewerbe an den Konservatorien, und noch viel mehr.

Gleichzeitig leitete ich die Ausarbeitung eines Kompositionskurses am Konservatorium im Jahr 1981/82, wobei ich die unschätzbare Hilfe besonders des damaligen Direktors Josy Hamer unbedingt erwähnen muss.

In jenen Jahren versuchten eine ganze Reihe Kollegen von Format, die Luxemburger Szene für Neue Musik auf ein internationaleres Niveau zu bringen. Ensembles wurden gegründet, Tonträger wurden aufgenommen, es entstanden Konzertorganisationen. Dank der Arbeit der Konservatorien stieg das Niveau der jungen Musiker, und so trauten sich immer mehr Instrumentalisten an die neuen Werke. Und immer mehr junge Musiker bekamen Zugang zu den ausländischen Musikschulen, was das Niveau in Luxemburg unglaublich steigerte.

Ich denke, dass es in anderen Bereichen der Kunst ganz ähnlich lief. Bei vielen gab es die Einsicht, dass sich in Luxemburg etwas bewegen müsste, damit wir uns nicht mehr vor unseren europäischen Nachbarn verstecken müssen.

Trotzdem legen wir in Luxemburg viel Wert auf Internationalität, d.h. dass Luxemburger auch ins Ausland gehen, um dort Erfahrungen zu sammeln, aber auch dass viele ausländische Künstler den Weg nach Luxemburg finden, sei es um in Ensembles zu spielen, sei es um sich dem luxemburgischen Publikum auf Festivals zu präsentieren. Inwiefern ist diese Offenheit gegenüber dem Ausland prägend für Luxemburg? Ist sie vielleicht sogar wichtig für Luxemburger Musik?

Dadurch, dass luxemburgische Studenten zum immer größeren Teil ins Ausland studieren gehen, lernen sie ausländische Musiker kennen. Diese entdecken so die Möglichkeiten die Luxemburg ihnen bietet, um Konzerte zu spielen, auf Festivals mitzuwirken, usw. Indem man ihnen nahe liegt, auch das eine oder andere luxemburgische Werk in ihr Programm aufzunehmen, wenn sie hierzulande spielen möchten, unterstützt dies auch die luxemburgischen Komponisten. So sind mir einige Komponisten bekannt, deren Werke von ausländischen Ensembles gespielt werden, weil diese Musiker dankbar waren, diese Werke zu erhalten.

Der Musicpublishers eV hat es sich zur Aufgabe gemacht, Werke Luxemburger Komponisten zu veröffentlichen und damit diese Werke einfach zugänglich zu machen. Über die Website ist es möglich, die Werke einer Vielzahl von Komponisten zu entdecken und zu bestellen.

Sie komponieren für Orchester, Ensembles und Violinen, und haben auch eine Oper geschrieben, "Die Todesbrücke", sind also sehr vielseitig in dem was Sie komponieren. Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?

Was meinen Stil und meine musikalische Sprache anbelangt, so hat der ausgezeichnete Musikautor Gottfried Kasparek, der regelmäßig Einleitungen für Konzertreihen des Mozarteum-Orchesters und einiger Festivals verfasst, dies einmal so formuliert:

"Sein Stil ist geprägt von großer persönlicher Eigenart und Kraft; Tonalität, Atonalität, Dodekaphonie, serielle und post-serielle Techniken verbinden sich zu einer musikalischen Sprache, in der sich lyrische und traumhafte Klangfelder, zarte Kantilenen und machtvolle Expressivität, stark emotional geprägte Eruptionen und surreale Bilder zu einer bezwingenden Einheit finden."

Was inspiriert Sie?

Ich lasse mich gerne von der Natur inspirieren, die in mir seelische Landschaften erschafft. Oft auch von Gedichten und Malereien. Manchmal setze ich auch den Namen eines Freundes in Musik um. Oft sind es aber Bewegungen oder Massen die sich fortbewegen, die mir die Grundrisse eines musikalischen Verlaufs aufzeigen.

Sie haben an der Gründung des Musicpublishers eV mitgewirkt. Was ist deren Mission? Warum erschien diese Gründung nötig?

Mein langjähriger Freund Claude Krier, der als Spezialist für die musikalische Computerschrift die Partituren einer ganzen Reihe von Komponisten geschrieben hat, kam mit dieser Idee bei einem gemeinsamen Abendessen. Und ich versicherte ihm sofort meine Unterstützung.

Die meisten Komponisten, bis auf wenige Ausnahmen, hatten keinen Verlag. Man wusste also gar nicht, welche Kompositionen es überhaupt gibt. Man musste einen Komponisten fragen, nur so konnte man an eine Fotokopie gelangen.

Mittlerweile arbeiten die meisten luxemburger Komponisten mit unserem Verlag zusammen. Dort bekommen Sie sauber ausgearbeitete Partituren, es gibt einen tollen Katalog. Und wenn Sie dann ein Werk bestellen, so erhalten Sie es binnen weniger Tage, zusammen mit einem Einzahlungsschein. Internationales Niveau also. Dies hat die Wirkung, dass Anfragen aus Ländern wie Südkorea, Kanada, usw. kommen. Claude Krier und seine Mitarbeiterin leisten Unglaubliches. 

Gibt es rückblickend einen Moment in Ihrem Werdegang, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Einer der wichtigsten Momente meines Werdegangs war 1985, als ich einen Auftrag der Salzburger Festspiele erhielt, "Stimmen der Nacht" für Mezzosopran und Orchester, ein Werk welches im Sommer 1985 uraufgeführt wurde und einen riesigen Erfolg feierte. Dazu gab es eine Menge Rezensionen in internationalen Zeitungen. Für meine Karriere war dies ungemein wichtig.

Können Sie uns etwas über Ihr nächstes Projekt verraten?

Ich verfasse derzeit eine Reihe kleiner Landschaften, Miniaturen für Klavier, die mit wenigen Noten eine bestimmte Atmosphäre heraufbeschwören.

Herr Müllenbach, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Interview wurde gekürzt, das Original liegt der Redaktion vor.