Art in Situ-Wettbewerb Wenn Kunst und Architektur im Alltag aufeinandertreffen

Der Wettbewerb Art in Situ des Ordre des Architectes et des Ingénieurs-Conseils (OAI) stellt den Dialog zwischen plastischen Werken und den Orten dar, an denen sie ausgestellt werden, um die Kunst kreativ in den Bausektor und den öffentlichen Raum zu integrieren. Seit Anfang Juli 2021 ist die Installation Klangkörper von Filip Markiewicz, Gewinner des ersten Art in Situ-Wettbewerbs, im OAI / Forum da Vinci Hauptsitz zu besichtigen. Anschließend folgt die Ausstellung Réproduction d'éléments (auf Deutsch, Nachbildung von Elementen) von Hisae Ikenaga, die ebenfalls den ersten Preis erhielt.

Art in Situ: wenn Kunst mit ihrer Umgebung interagiert

Art in Situ ist ein Projekt, das von der OAI in Zusammenarbeit mit der Vereinigung da Vinci und Art Contemporain.lu entwickelt wurde. Die Initiative zielt darauf ab, die Integration der Werke der bildenden Künstler in den umgebenen Ort zu betonen. In der Tat sind die Künstler sehr oft mit den Beschränkungen der spezifischen Orte, für denen sie eine Aufstellung konzipieren, konfrontiert. Diese Ansprüche führen zu innovativen Lösungen oder zu Werken, die zum Nachdenken anregen über den Ort, an dem sie präsentiert werden.

Es handelt sich jedoch nicht nur um einen interaktiven Prozess, der mit dem Ort zu tun hat, sondern auch und vor allem mit dem Publikum: den Bürgerinnen und Bürger, die an den öffentlichen Orten leben, wo die Kreationen aufgestellt sind oder diese besuchen. In diesem Kontext richtet sich das Projekt Art in Situ sowohl an die Besucher als auch an die Passanten und unterstreicht die Bedeutung der Kultur für die Schaffung des Zusammenlebens.

Die Integration von Kunst in den öffentlichen Ort, eine Frage des Rechts

Wussten Sie, dass in Luxemburg das Gesetz die Integration von Kunstwerken in öffentlichen Einrichtungen vorsieht? Das Gesetz vom 19. Dezember 2014 über die Förderung des künstlerischen Schaffens sieht vor, dass bei der Errichtung eines Gebäudes durch den Staat oder Gemeinden oder öffentliche Einrichtungen, die in erheblichem Umfang vom Staat finanziert werden, ein bestimmter Prozentsatz der Gesamtkosten für den Erwerb von Kunstwerken verwendet wird, die in Gebäude eingebaut werden, die einen kulturellen, erzieherischen, sozialen oder administrativen Zweck erfüllen oder für den Empfang von Besuchern bestimmt sind. Darüber hinaus wird dieser Prozentsatz in der großherzoglichen Verordnung vom 2. September 2015 auf 1% der Gesamtkosten festgelegt.

Hisae Ikenaga und Filip Markiewicz, gemeinsame Gewinner der ersten Ausgabe des Wettbewerbs Art in Situ
© Nader Gavami, alle Rechte vorbehalten

Die erste Ausgabe des Wettbewerbs wurde im Dezember 2020 gestartet und war mit 18 Einsendungen, von denen 17 ausgewählt wurden, ein großer Erfolg. Ende März 2021 gab die OAI die Gewinner bekannt: der Preis ex aequo wurde den Künstlern Filip Markiewicz und Hisae Ikenaga verliehen.

Der Resonanzkörper von Filip Markiewicz

Filip Markiewicz (1980, Esch-sur-Alzette) ist ein polnisch-luxemburgischer bildender Künstler, der sich durch verschiedene Medien wie Zeichnung, Malerei, Musik, Video und Installation ausdrückt. Er vertrat Luxemburg auf der 56. Biennale von Venedig 2015 mit dem Projekt Paradiso Lussemburgo.

Seine preisgekrönte Installation Klangkörper schlägt eine Brücke zwischen der Welt der Musik und der Architektur. Die Idee ist, die Klangkonzepte der elektronischen Musik durch eine Befragung von architektonischen Konzepten zu übersetzen. Dem Künstler zufolge erinnert die dreidimensionale architektonische Form des OAI-Gebäudes an die grafische Zweidimensionalität einer "Klanghüllkurve", das heißt die Kurve, die die Entwicklung eines Klangs beschreibt.

Die vier Stufen der ADSR-Hüllkurve
© Filip Markiewicz, alle Rechte vorbehalten

Die ADSR-Klanghüllkurve (Attack, Decay, Sustain, Release) wurde im Jahr 1965 von Vladimir Ussachevsky definiert, als er Besserungen an den frühen Synthesizern von Robert Moog vorschlug. Heutzutage sind diese vier Wörter auf jedem analogen Synthesizer zu finden.

Im Kontext dieser Installation würde das OAI-Gebäude einen architektonischen Klangkörper darstellen, der in Verbindung mit den Worten attack; decay; sustain und release eine gesellschaftliche Befragung entwickelt. ​ Die Serie von Neonlichtern, die diese vier Worte bilden und sowohl innerhalb als auch außerhalb des Gebäudes installiert sind, kann daher auf politische und poetische Weise interpretiert werden.

  • Attack: In der Musik bezeichnet der Angriff die Zeitspanne, die benötigt wird, um die maximale Stufe zu erreichen, nachdem die Note begonnen hat; das Wort würde in diesem Zusammenhang an die Idee des Brutalismus in der Geschichte der Architektur erinnern.
  • Decay: (auf Deutsch, der Zerfall): in der Musik bezeichnet das Wort die Verkürzung der Dauer, die erforderlich ist, um die nächste stabile Stufe zu erreichen. Übertragen auf die Welt der Architektur würde sie sich auf Ruinen und die Beschädigung von Materialien beziehen.
  • Sustain: In der Musik ist dies die stabile Phase, in der die Note gehalten wird. Bei der Installation würde es sich um eine nachhaltige Architektur handeln, die negative Auswirkungen auf die Umwelt minimiert.
  • Release: im musikalischen Kontext bezeichnet die Auslöschung die Zeitspanne, die vergeht, bis der Wert auf den anfänglichen Nullpunkt sinkt; diese Freigabe würde auf politische und existenzielle Ideen anspielen, die auch bestimmte Formen der Architektur widerspiegeln.

Begleitend zu dem Projekt plant der Künstler eine Videoperformance mit minimaler elektronischer Musik unter Einsatz analoger Synthesizerklänge.

Die Installation befindet sich seit Anfang Juli 2021 für einen Zeitraum von 18 Monaten im Hauptsitz der OAI / Forum da Vinci. Ende 2022 wird die Installation der Preisträgerin Hisae Ikenaga übernehmen.

© OAI / Christof Weber, alle Rechte vorbehalten
© Filip Markiewicz, alle Rechte vorbehalten

Hisae Ikenagas imaginäres Beschilderungsspiel

Hisae Ikenaga (1977, Mexiko-Stadt) arbeitet mit Alltagsgegenständen. Sie verändert sie, um ihnen andere Bedeutungen und Verwendungen zu geben. In ihrer Serie behandelt sie verschiedene Themen: sie konfrontiert Industrie und Handwerk, sie vermenschlicht Objekte, sie verwendet globale Objekte, die in multinationalen Handelsketten gekauft wurden. Sie stellt potentielle Anomalien in massenproduzierten Objekten dar, um neue Perspektiven auf die Umstände des täglichen Lebens zu schaffen.

Mit seiner Installation Reproduction d'éléments spielt die Künstlerin mit den existierenden Elementen im OAI-Gebäude. Das Werk folgt seine intellektuelle Vorgangsweise, alltägliche Gegenstände zu verändern um eine neue Interpretation vorzuschlagen, und reproduziert in Papier, Pappe und Pappmaché Zubehör wie Tafeln, Griffe, Schalter, Handläufe, um die Besucher zunächst zu verwirren. Bei näherer Betrachtung dieser Objekte wird nämlich deutlich, dass es sich um falsche Exponate handelt.

Die OAI-Gebäudebeschilderung ist eine Einladung zum Spielen für Hisae Ikenaga
© Hisae Ikenaga, alle Rechte vorbehalten
Die OAI-Gebäudebeschilderung ist eine Einladung zum Spielen für Hisae Ikenaga
© Hisae Ikenaga, alle Rechte vorbehalten

Das Ziel ist es, den Besucher zu verwirren und ihn zu ermutigen nach anderen Elementen zu suchen, ihn dazu zu bringen, sich der Dinge bewusst zu werden, die den Alltag umgeben und oft vernachlässigt werden. Es ist auch eine Möglichkeit, auf die zahlreichen technischen und sicherheitstechnischen Zwänge hinzuweisen, die in der Praxis die Ausdrucksmöglichkeiten der Architekten einschränken. So schafft die Künstlerin auf spielerische Weise eine Sammelung falscher standardisierte Objekte und imaginäre Zeichen, die aus einem absurden Lastenheft entnommen sind. ​

Die Installation von Hisae Ikenaga wird Anfang 2022 am Hauptsitz von OAI / Forum da Vinci aufgestellt sein.