Sascha Lang: Menschen mit einer Behinderung müssen zur Definition von Inklusion beitragen

Sascha Lang ist Mitarbeiter im Bereich Kommunikation des Ministeriums für Familie. Als Kommunikations- und Medienfan ist er für die Verbesserung des Umlaufs von Informationen über behinderte Menschen zuständig. Sein Ansatz dient der Stärkung des Status von Behinderten, eine Aufgabe, der er mit Leidenschaft nachgeht, da er seit seinem dritten Lebensjahr selbst blind ist. 

Worin besteht Ihre Arbeit als Mitarbeiter im Bereich Kommunikation? Können Sie uns etwas über Ihre bisherige Laufbahn erzählen?

Eigentlich habe ich mehrere Aufgaben, und eine davon ist die Koordinierung verschiedener Bereiche des Aktionsplans [Nationaler Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), Anm. d. Red.], d.h. zur besseren Verbreitung der Informationen über die von uns im Ministerium geleistete Arbeit beizutragen. Ich betreibe keine Medienkommunikation, sondern meine Rolle besteht vorwiegend darin, die Informationen zwischen den Betroffenen und den Institutionen besser zirkulieren und der Öffentlichkeit die Informationen zukommen zu lassen.

1979 wurde ich am Blinden- und Sehbehinderteninstitut (Blanneschoul) aufgenommen, 1982 kam ich in die normale Schule, da angenommen wurde, dass das Institut mich nicht genug förderte, und 1987 habe ich die Zulassungsprüfung für die weiterführende Schule absolviert. 1997 habe ich meine ersten Erfahrungen im Eventmanagement gemacht, und seitdem organisiere ich Konzerte, führe Interviews, mache Radio usw. 2000 entschied ich mich, die Einstellungsprüfung beim Staat abzulegen, und von da an habe ich bis 31. März 2023 bei der Post in der Inkassoabteilung gearbeitet. Ich habe allerdings nur Teilzeit gearbeitet, da ich zudem selbstständig im Eventmanagement und in der Organisation von Konzerten tätig war. Am 1. April dieses Jahres habe ich zum Ministerium für Familie gewechselt, bin aber gleichzeitig weiterhin selbstständig tätig geblieben und mache Radioproduktionen, Sendungen, Podcasts, Podiumsdiskussionen oder Vorträge, dies immer zum Thema Inklusion.

Sie sind seit Ihrem dritten Lebensjahr blind, was als Behinderung gilt. Wie würden Sie das Wort Behinderung definieren, und was bedeutet Inklusion für Sie? Wann ist Inklusion Ihrer Ansicht nach erreicht bzw. wird sie erreicht sein?

Ich definiere mich nicht als Behinderter. Ja, ich habe eine Behinderung, aber diese Behinderung wird von der Außenwelt beeinflusst. Für mich geht meine Behinderung nicht über meinen Körper hinaus, denn sie beeinflusst nicht meinen Charakter. Ich bin der, der ich bin. Meine Umwelt prägt mich. Es ist klar, dass die Gesellschaft nicht alle Barrieren beseitigen kann, und bereits dadurch werden wir beeinträchtigt. Das bedeutet, dass wir alle auf die eine oder andere Weise eine Beeinträchtigung haben, auch die Menschen, die keine zu haben glauben.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Drei Personen – eine Person im Rollstuhl, eine blinde Person und eine Person ohne Geld – befinden sich vor einem Geschäft. Keine von ihnen kann hineingehen. Wenn es keine Rollstuhlrampe gibt, kommt der Rollstuhlfahrer nicht hinein, der Blinde kann nicht sehen, was er kauft, und der Arme hat kein Geld, um überhaupt etwas zu kaufen. Also haben sie alle drei eine Beeinträchtigung äußerst unterschiedlicher Art.

Um Inklusion zu erreichen, müssen wir als Betroffene selbst viel aktiver sein, das heißt, dass Inklusion nicht funktioniert, indem wir denken, dass uns die Gesellschaft die Inklusion bringt, sondern wir müssen präsent sein, wir müssen mit Menschen ohne Behinderung zu tun haben. Wir müssen interagieren, und wenn wir dies tun, lehren wir andere Menschen, wie Inklusion funktioniert. Wenn wir klar äußern, was wir brauchen, können sich die Leute uns anpassen, und wir können uns auch ihnen anpassen. Egal, ob sie eine Behinderung haben oder nicht.

Inklusion wird niemals erreicht werden. 100%-ige Inklusion gibt es ebenso wenig wie 100%-ige Barrierefreiheit. Die Problematik besteht darin, dass wir bei der Barrierefreiheit ins Hintertreffen geraten sind, das heißt, wir müssten so viele Dinge ändern, was uns aber nicht so schnell gelingen wird. Eine Barriere, die für mich beseitigt wird, kann für jemand anderen wiederum eine Barriere darstellen. Meiner Ansicht nach ist Inklusion ein Prozess, der sich fortsetzt, da sich unsere Gesellschaft weiterentwickelt. Es ist ein Prozess, der nie aufhört.

Für mich geht meine Behinderung nicht über meinen Körper hinaus, denn sie beeinflusst nicht meinen Charakter. Ich bin der, der ich bin. Meine Umwelt prägt mich. 

Luxemburg hat bereits zahlreiche Maßnahmen und Projekte ins Leben gerufen, um die Inklusion von behinderten Arbeitnehmern am Arbeitsplatz zu erleichtern. Welches Projekt liegt Ihnen besonders am Herzen und warum?

Momentan weiß ich von keinem Projekt, von dem ich sagen könnte, dass es uns bei der Inklusion weitergebracht hat. Wir haben natürlich den Status des behinderten Arbeitnehmers, und wir erhalten viel Hilfe usw., aber diese Maßnahmen reichen mir nicht. Mir fehlt ganz klar der Arbeitsassistent. Aber allgemein haben wir zwei Probleme: zunächst haben wir nicht genug Arbeitgeber, die es wagen, behinderte Menschen einzustellen. Daher müssen wir viel mehr in Sachen Sensibilisierung tun. Das andere Problem besteht darin, dass es verschiedene behinderte Menschen auf dem Arbeitsmarkt gibt, die nicht gut ausgebildet sind. Aus diesem Grund fordere ich die Arbeitsassistenz. Für mich ist sie unverzichtbar. Wir brauchen sie, da wir auch Menschen mit Kompetenzen haben. Ich denke beispielsweise an eine Richterin in Trier, die ihren Beruf nicht ausüben könnte, wenn sie keine Arbeitsassistenz hätte, da sie nicht in der Lage wäre, die Seiten ihres Plädoyers selbst umzublättern, weil sie ihre Arme nicht bewegen kann. Und es gibt viele weitere Fälle dieser Art.

Der Staat kann in verschiedenen Bereichen eingreifen, um eine geeignete Integration von behinderten Arbeitnehmern zu ermöglichen. Die staatlichen Beihilfen können insbesondere die Löhne, die Aus-/Weiterbildungen, die Hilfsgeräte am Arbeitsplatz, die berufliche Ausrüstung und sogar das spezielle Lehrmaterial abdecken. Sie können auch die Beförderungskosten decken. Wie wirken sich diese Beihilfen auf die Einstellung von Behinderten / auf den gesamten Arbeitsmarkt aus?

Die Auswirkungen sind erheblich, aber auch da besteht die Problematik darin, dass es so viele Dinge gibt, die nicht bekannt sind. Auf dem Privatmarkt sind die Informationen nicht klar genug. Die Arbeitgeber wissen häufig nicht, wo sie eigentlich anfangen sollen, sie wissen nicht, welche Informationen oder welche Beihilfen sie erhalten können. Es fehlen noch zu viele Anlaufstellen, und es bräuchte ein kohärenteres System, wo man all diese Informationen finden würde. Zudem müsste man mehr sensibilisieren und die Arbeitgeber verstärkt einbinden, um deren Befürchtungen zu mindern, wenn es um die Einstellung von behinderten Menschen geht.

Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie mit diesen Hilfeleistungen im Rahmen Ihrer beruflichen Laufbahn gemacht?

Ich habe eine staatliche Laufbahn eingeschlagen, also ist es einfacher für mich, aber ich muss sagen, dass die technische Unterstützung bereits äußerst wichtig ist. Für mich gab es nur positive Auswirkungen.

Das Ministerium für Familie, Integration und die Großregion hat die Initiative der Inklusionsassistenz ins Leben gerufen. Können Sie uns diese Initiative näher erläutern?

Die Idee besteht darin, dass die behinderte Person, nachdem sie eine Arbeitsstelle gefunden hat, von einem Inklusionsassistenten begleitet wird. Das heißt, dass eine Verbindung zwischen dem Arbeitgeber, dem Personal und der behinderten Person geschaffen wird, um den Zugang zu erleichtern, aber auch, damit die dort arbeitenden Menschen eine Reihe von Hindernissen aus dem Weg räumen können. Allerdings auch, damit sie eine Ansprechperson haben, da eine behinderte Person vielleicht ein bisschen anders funktioniert, und somit zum gegenseitigen Verständnis unter den einzelnen Gruppen beigetragen wird. Das ist die Grundidee. Theoretisch ist das super, aber die Problematik liegt darin, dass der Inklusionsassistent zu spät ins Spiel kommt, nämlich erst dann, wenn der Vertrag unterzeichnet ist. Er müsste allerdings früher zum Einsatz kommen, weil er dann möglicherweise mehrere Arbeitgeber von der Einstellung behinderter Personen überzeugen könnte, wenn sie direkt ab Beginn oder sogar während einer Etappe oder einer Entwicklungsphase begleitet werden würden. Der Assistent ist eine gute Idee, aber er kommt zu spät. 

© Gordon Meyrath

Sascha Lang ist Jahrgang 1975. Im Alter von drei Jahren erblindet er, was ihn allerdings nicht davon abhält, seine Schullaufbahn fortzusetzen und sein Abitur zu machen. Da er schon in jungen Jahren von den Medien begeistert ist, wagt er sich anschließend an die Moderation von Musiksendungen im Radio und vermittelt seinen Zuhörern seine Leidenschaft. Später ist er in der Produktion und dem Management von Künstlern tätig, bevor er im Jahr 2009 wieder Radiosendungen zum Thema Inklusion aufnimmt. Gleichzeitig legt er den Grundstein für seinen eigenen Sender im Internet, SLANG - das Radio für ein barrierefreies Leben, das sein Programm 2014 einstellt. Der Inklusionsbotschafter und -aktivist ist in Deutschland und Luxemburg auf allen Ebenen präsent, um sich für eine bessere Inklusion behinderter Menschen einzusetzen. Seit 2020 hat er seinen eigenen Podcast namens IGEL bei RTL Luxembourg, den es in luxemburgischer und deutscher Sprache gibt.

Sie haben den Status eines behinderten Arbeitnehmers / eines Arbeitnehmers mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit. Worin unterscheiden sich der Status des behinderten Arbeitnehmers und derjenige des Arbeitnehmers mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit?

Ich habe den Status eines behinderten Arbeitnehmers, das heißt, mit Behinderung hat man 6 Tage mehr Urlaub, und der Arbeitgeber erhält Unterstützung. Der Arbeitnehmer mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit ist nicht in der Lage, Vollzeit zu arbeiten. Ich arbeite nicht aufgrund meiner Behinderung Teilzeit, sondern weil ich noch anderen Dingen im Leben nachgehen möchte. Ich nehme jedoch an, dass nach meiner Interpretation die Person mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit möglicherweise aufgrund ihrer Behinderung nicht mehr Vollzeit arbeiten kann und daher eine eingeschränkte Arbeitszeit hat.

Sie waren als Selbstständiger tätig und sind nun Staatsbeamter. Was waren die markantesten Änderungen in Sachen Wahrnehmung behinderter Arbeitnehmer im Vergleich zu vor 10 Jahren? Haben der Status des behinderten Arbeitnehmers und derjenige des Arbeitnehmers mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit diese Änderung gefördert?

Ich habe immer parallel gearbeitet, das heißt, dass ich einerseits Beamter bin und anderseits seit 2006/2007 im Eventmanagement und später im Medienbereich selbstständig tätig bin. In Deutschland habe ich eine Arbeitsassistenz, in Luxemburg hingegen nicht. Hier brauche ich sie allerdings auch nicht wirklich, aber von Zeit zu Zeit begleitet mich eine Person zu Terminen. Ich kann viele Dinge selbst regeln.

Für mich gibt es keinen Unterschied in der Wahrnehmung, da ich nicht gemäß dem Status lebe. Ich habe zwar seit 1997 den Status, aber für mich ist er nicht relevant. Ich habe den Status, fühle mich aber nicht wie ein behinderter Arbeitnehmer. Ich fühle mich wie ein normaler Angestellter in einem Unternehmen.

Inklusion kann schwer von Barrierefreiheit abgegrenzt werden. Ein neues Gesetz über die Barrierefreiheit von öffentlich zugänglichen Orten, öffentlichen Wegen und Mehrfamilienhäusern tritt am 1. Juli 2023 in Kraft. Was ist unter Barrierefreiheit zu verstehen, und welche Rolle spielt sie bei der Inklusion?

Barrierefreiheit bedeutet Zugang für jedermann zu allen öffentlichen Orten, das heißt, dass alles barrierefrei sein muss, vom Frisör bis hin zur Bank. Barrierefreiheit heißt allerdings nicht nur, dass sie für Rollstühle geeignet sein muss, sondern sie muss auch angemessen für sehbehinderte Menschen und alle anderen sein. Wenn ich eine Rampe baue, dann installiere ich sie nicht nur für Rollstühle, sondern auch für Kinderwagen und Rollatoren. Wir benötigen die Barrierefreiheit für die Inklusion, denn wir können nur teilhaben, wenn wir überall hingehen können. Dementsprechend ist es wichtig, dass wir die Barrierefreiheit vorantreiben, denn dank ihr schaffen wir neue Mittel und Wege für die Inklusion. Barrierefreiheit bedeutet nicht 100%-ige Inklusion, aber wir erleichtern Inklusion durch Barrierefreiheit.

Welcher Botschaft würden Sie gerne abschließend (ganz allgemein) Nachdruck verleihen?

Behinderte müssen zur Definition von Inklusion beitragen. Wir müssen präsent sein, wir müssen für unseren Platz kämpfen. Wir dürfen nicht darauf warten, dass jemand uns an der Tür abholt, sondern wir müssen uns wagen hinauszugehen. Wir brauchen eine offene Gesellschaft, die uns teilhaben lässt. Aber es ist für uns auch nötig, dass behinderte Menschen mitentscheiden können, dass sie gestärkt werden, um teilhaben zu können. Das heißt, dass man ihnen den Mut, den Willen und die Chance vermittelt, aktiv zu sein. Und dies wird erreicht, indem man sie lehrt, dass sie Rechte haben, das heißt, indem sie motiviert werden, aus ihrem Schneckenhaus herauszukommen und für die Geltendmachung ihrer Rechte zu kämpfen. Wir müssen uns als Behinderte nach außen hin zeigen und für unsere Sache eintreten.

Wenn wir allerdings keinen Mentalitätswechsel herbeiführen können, wird Inklusion auch nicht funktionieren. Wir können dies nicht mit der Brechstange oder mit Gesetzen erreichen, es muss sich etwas in den Köpfen ändern. Aber, wir sind schon weiter als noch vor ein paar Jahren.

Sacha Lang, wir danken Ihnen für dieses Interview.

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