Emma Schymanski - die ATTRACT-Stipendiatin hat in Luxemburg ein günstiges Umfeld für ihre Arbeit und ihr Leben gefunden.

Emma Schymanski ist auf der Jagd nach Unbekannten. Die junge Forscherin aus Australien hat an der Universität Luxemburg eine Gruppe gegründet, die unbekannte Chemikalien aufspürt und identifiziert, um ihre Auswirkungen auf die Gesundheit und die Umwelt einzuschätzen. Nachdem sie als Stipendiatin des ATTRACT-Programms des Nationalen Forschungsfonds nach Luxemburg gekommen ist, hat sie ein ideales Umfeld gefunden, um ihre Forschung langfristig zu etablieren, und genießt die vielen Vorteile, die das Leben in Luxemburg zu bieten hat.

Emma Schymanski ist 2017 nach Luxemburg gezogen. Die Australierin war ihrem Ehemann gefolgt, dem deutschen Biologen Stan Schymanski, der kurz zuvor als ATTRACT-Stipendiat nach Luxemburg gekommen war. Ziel des vom Nationalen Forschungsfonds (FNR) geförderten Programms ist es, herausragende junge Wissenschaftler nach Luxemburg zu holen und sie bei ihren Vorhaben zu unterstützen. Während Stan am Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST) die Interaktion zwischen Pflanzen und ihrer Umgebung untersucht, konzentriert Emma sich am Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LCSB) auf die Identifizierung unbekannter Chemikalien, die Analyse ihrer Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt sowie die Einrichtung von Datenbanken und Ressourcen zur Verbreitung dieser Informationen.

Wie kam es, dass die Identifizierung unbekannter Chemikalien zu Ihrem Forschungsgebiet wurde?

Ich arbeitete als Umweltberaterin an sehr komplexen kontaminierten Standorten und führte dort chemische Analysen durch. Bei einem der Standorte wussten wir, dass die entnommene Probe stark kontaminiert war, aber als wir die Ergebnisse aus dem Labor bekamen, lagen alle Messwerte unter den Grenzwerten. Die Ergebnisse änderten sich auch nach einer erneuten Analyse nicht. Da wussten wir, dass wir das große Ganze nicht erfassen konnten. Ein Teil dieses Problems besteht darin, dass viele Informationen zu chemischen Stoffen nur eingeschränkt verfügbar sind.

Hier kommt Ihr zweites Forschungsgebiet ins Spiel: Cheminformatik – die Informationen verfügbar zu machen.

In meinen Augen geht die Cheminformatik Hand in Hand mit der Suche nach unbekannten Chemikalien. Natürlich müssen wir die Substanzen bei unserer Forschung erst einmal finden und mit ihren Wirkungen verknüpfen. Ebenso wichtig ist es jedoch, Informationen über Chemikalien öffentlich verfügbar zu machen, damit wir und andere sie auch finden können. Seit 2015 betreibe ich die NORMAN Suspect List Exchange. Sie dient dazu, überschaubare Listen von Chemikalien mit umweltbezogenem Fachwissen auf einer offenen Plattform zu bündeln, um sie mit anderen Forschern zu teilen.

Wir arbeiten unter anderem auch eng mit der größten offenen Chemiedatenbank PubChem zusammen, denn sie hat nicht nur Millionen von Nutzern, sondern auch bessere Formate und mehr Funktionen, als wir selbst anbieten können. Dank ihrer Datenstrukturen können wir dieses Fachwissen in Formaten und Größen übermitteln, mit denen zum Beispiel Regulierungsbehörden, Wissenschaftler oder die allgemeine Öffentlichkeit arbeiten können.

Über wie viele Chemikalien reden wir hier eigentlich?

Es kursieren viele Zahlen über den so genannten "Chemical Space". Wissenschaftler schätzten 2006, dass wir im Alltag mit etwa 70.000 verschiedene Chemikalien in Kontakt kommen. Die größten offenen Datenbanken enthalten inzwischen über 110 Millionen Chemikalien, und das größte Register hat schon fast die 200-Millionen-Marke erreicht. Und dann gibt es noch die virtuellen Chemiebibliotheken, die Milliarden von Substanzen enthalten.

Da wir mit vielen dieser Stoffe täglich in Kontakt kommen, gibt es sicher eine ganze Menge möglicher Wirkungen, oder?

Manche Chemikalien haben akute Wirkungen, die sich wie Vergiftungen auswirken. Es gibt aber auch viele, die aufgrund ihrer Anreicherung im Laufe der Zeit sogenannte chronische Wirkungen verursachen. Schätzungen zufolge haben wahrscheinlich 99% der Weltbevölkerung bereits PFAS, also per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen, im Blutkreislauf. Diese Stoffe sind langlebig und nicht so leicht abbaubar. Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass PFAS viele verschiedene chronische Wirkungen haben können. Bei komplexen Verbindungen ist es mitunter schwierig herauszufinden, welche Chemikalien welche Wirkung hervorrufen.

Emma Schymanski schloss 2003 ihr Studium an der University of Western Australia mit einem Bachelor of Science in Chemie und einem Bachelor of Engineering in Umwelttechnik ab.

Nachdem sie im Jahr 2011 ihre Promotion am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ in Leipzig abgeschlossen hatte, nahm sie eine Postdoc-Stelle an der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag) an.

Seit 2017 lebt sie mit ihrem Ehemann Stan Schymanski in Luxemburg und ist seit 2018 Stipendiatin des ATTRACT-Programms des Nationalen Forschungsfonds.

Derzeit ist Emma Schymanski Lehrbeauftragte an der Universität Luxemburg, wo sie eine Gruppe für Umweltcheminformatik am Luxembourg Centre for Systems Biomedicine leitet.

Würden Sie das als Ihren bisher größten Erfolg bezeichnen?

Es gab viele Erfolge zu vermelden, große und kleine. Zurzeit überarbeiten wir einen Artikel mit 97 Autoren über die NORMAN Suspect List Exchange, ein riesiges Kooperationsprojekt. Aus meiner Sicht ist das angesichts der Ressourcen, die uns dafür zur Verfügung standen, eine unglaubliche Leistung, mit der wir wirklich etwas bewirken. Es gibt auch ein Paper von mir aus dem Jahr 2014, das schon über 1.700-mal zitiert wurde. Auf Konferenzen fällt hier und da der Begriff "Schymanski Levels", so dass ich mir sozusagen mit einem einzigen Paper bereits einen Namen gemacht habe.

Vor welchen Herausforderungen stehen Sie?

Erstens: der Zugang zu Informationen. Und zweitens die Mobilisierung von Finanzmitteln für die Fortführung unserer Arbeit. In der Forschung ist es oft einfacher, Geld für eine hippe neue Datenbank, coole neue Ressourcen oder die neuesten und bahnbrechendsten Forschungsergebnisse zu bekommen, als Finanzmittel für die Aufrechterhaltung und Pflege der vorhandenen Infrastruktur zu erhalten.

Sie sind eine ATTRACT-Stipendiatin. Unterstützt der FNR Sie bei diesen beiden Herausforderungen?

Der FNR setzt sich sehr stark für offene Wissenschaft ein. Daher war das Förderprogramm für mich sehr wichtig. Die Förderung, die mir als Einzelforscherin gewährt wurde, ist für die Gründung einer Forschungsgruppe bestimmt. Die Fördersumme von 2 Millionen lässt neben der neuen Forschung auch Raum für Instandhaltung und Weiterentwicklung. Dieses Gleichgewicht ist mir bei unserer Forschung sehr wichtig.

Warum haben Sie sich eigentlich für Luxemburg entschieden, um Ihre Forschung und Entwicklung voranzutreiben?

Mein Mann Stan Schymanski kannte Laurent Pfister vom LIST. Laurent war es, der uns vom ATTRACT-Stipendium erzählte. Mein Mann bewarb sich zuerst, und als klar war, dass das Programm tatsächlich in Betracht kam, besuchte ich den Campus und sprach mit verschiedenen Leuten, darunter Rudi Balling, der damalige Leiter des LCSB. Es stellte sich heraus, dass das LCSB genau das war, was ich gesucht hatte. Es konzentriert sich nämlich nicht nur auf biomedizinische Forschung, sondern auch auf Bioinformatik mit Schwerpunkt auf offener Wissenschaft.

ATTRACT bringt Nachwuchsforscher nach Luxemburg

Das ATTRACT-Programm richtet sich an vielversprechende, noch nicht in Luxemburg etablierte Nachwuchsforscher, die das Potenzial haben, in ihrem Forschungsbereich führend zu werden. Das Programm läuft über 5 Jahre, in denen die Stipendiaten im Rahmen der Forschungsagenda der Gasteinrichtung ihr eigenes Forschungsteam aufbauen und ihre eigene Forschungslinie entwickeln können.

Die ATTRACT-Stipendiaten werden individuell betreut und auf ihrem Weg zu einer Dauerstelle begleitet.

Der FNR kann Starting Investigators (Postdoc & Junior Researcher) mit bis zu 1,5 Millionen Euro und Consolidating Investigators (Established Researcher) mit bis zu 2 Millionen Euro finanziell unterstützen. 

Als Nachwuchswissenschaftler wird man nicht durch veraltete Strukturen eingeschränkt. Stattdessen können wir ganz neue Wege gehen und die Zukunft mitgestalten.

Welche Hauptgründe sprachen für Luxemburg?

Die Gründe waren sowohl familiärer als auch forschungsbezogener Natur. Uns war es sehr wichtig, gemeinsam auf einem Campus zu sein. Außerdem wollte ich unbedingt über die Umweltwissenschaften hinaus auch die Biomedizin einbeziehen. Um meine Forschung weiterzuentwickeln, brauchte ich beide Perspektiven. Deshalb bin ich dankbar, dass ich Rudi davon überzeugen konnte, dass das LCSB tatsächlich zu mir passt.

Was mich ebenfalls überzeugt hat, war der Karriereplan, der zum ATTRACT-Programm gehörte. Der Karriereplan wird im Rahmen des Stipendiums verhandelt, und am Ende der 5 Jahre wird beurteilt, wie gut man die Ziele erreicht hat und ob dementsprechend eine Beförderung oder eine Dauerstelle infrage kommen. ATTRACT ist nicht so konzipiert, dass man einfach 5 Jahre bleibt und dann wieder seine Koffer packt. Es geht vielmehr darum, Verhältnisse zu schaffen, in denen man bleiben möchte. ATTRACT ist eine Starthilfe und schafft die Voraussetzungen dafür, dass man sich in Luxemburg weiterentwickeln kann.

Ich habe sogar einen wissenschaftlichen Beirat und ein Coachingbudget, und meine Lehrverpflichtungen wurden reduziert, sodass ich mich wirklich intensiv auf meine Forschung und den Aufbau der Gruppe konzentrieren kann. An der Eawag hatte ich immer das Gefühl, im Schatten der Gruppenleiter zu stehen. Als ich hierher kam, erhielt ich von überall her Einladungen, denn plötzlich war ich vollkommen eigenständig.

Gibt es etwas, das Sie an der Arbeit in Luxemburg besonders schätzen?

Luxemburg wird oft als Herz Europas bezeichnet, und das trifft in meinen Augen voll und ganz zu. Ich bin zwar schon seit ich 2007 nach Europa kam in der europäischen Forschung tätig, allerdings habe ich sehr viel Zeit in Deutschland verbracht. Durch meinen Umzug hierher bin ich nun auch anderen Ländern wie Frankreich, Belgien und den Niederlanden näher. Darauf lege ich großen Wert, vor allem weil europäische Kontakte für meine eigene Forschung so wichtig sind.

Auch die Einrichtungen haben mich überzeugt. Der Campus ist nagelneu, und der Schwerpunkt liegt auf offener Wissenschaft und biomedizinischen Themen. Das waren die Hauptgründe für meine Entscheidung, hierher zu kommen. Ein weiterer Pluspunkt ist die strategische Entscheidung des Landes, viel in die Forschung zu investieren. Das zeigt sich auch in der Ausstattung, vor allem in der Bioinformatik, wo man wirklich auf dem neuesten Stand sein muss.

Die Universität war in meinen Augen auch ein entscheidender Vorteil. Sie ist noch jung und sehr agil. Als Nachwuchswissenschaftler wird man nicht durch veraltete Strukturen eingeschränkt. Stattdessen können wir ganz neue Wege gehen und die Zukunft mitgestalten. Solche Ressourcen zu haben und gewillt zu sein, nach vorne zu blicken, ist der Schlüssel.

Mir gefällt auch der familiäre Aspekt: mehrere meiner Mitarbeiterinnen sind junge Mütter, die sich nach der Geburt ihrer Kinder weiterbilden, und es ist toll, sie beim (Wieder-)Einstieg ins Berufsleben zu unterstützen und zu sehen, wie sie (und meine anderen Mitarbeitenden) sich entwickeln.

An welche Aspekte des Lebens in Luxemburg mussten Sie sich am meisten gewöhnen?

Ich hatte den französischen Anteil an der Kultur hier total unterschätzt. Ich ging davon aus, dass ich mich dank meiner guten Deutschkenntnisse viel schneller anpassen kann. Aber tatsächlich braucht man im Alltag eine Menge Französisch.

Und abgesehen von der Arbeit? In den ersten paar Jahren hier habe ich bereits mit dem Minister der Finanzen Mittag gegessen. Als Mitglied der Musikkapelle Bieleser Musek haben wir am Nationalfeiertag vor dem Großherzog gespielt, und vor ein paar Wochen wurden wir von Jean-Claude Juncker dirigiert. Können Sie sich das in einem anderen Land vorstellen?

© Stan Schymanski

Was gefällt Ihnen am Leben in Luxemburg am meisten?

Ich hatte nicht erwartet, dass es in Luxemburg so eine lebendige Musikszene gibt. Als wir unseren Sohn mitnahmen, um ein Instrument auszuprobieren, kamen wir mit dem Präsidenten der Bieleser Musek in Kontakt. Er hat mich in die Musikkapelle geholt, weil sie eine Posaunistin brauchten. Die Bandmitglieder nahmen mich mit offenen Armen auf, obwohl ich schon lange nicht mehr gespielt hatte. Mein Sohn spielt Trompete am Konservatorium und auch bei der Bieleser Musek. Wir spielen jetzt also Seite an Seite.

Auch Wandern ist toll hier. Wir gehen im Müllerthal, aber auch in der Minett-Region wandern. Die Orchideen in Schifflingen und Umgebung sind wunderschön. Wir fahren auch gerne Kajak auf der Sauer in Esch-Sauer und jenseits der Grenze auf der Semois in Belgien.

Wie würden Sie die Luxemburger in drei Worten beschreiben?

Erstens definitiv mehrsprachig. Außerdem kulturell vielfältig. Die Luxemburger haben viel von den Kulturen übernommen, die ins Land kamen. Dennoch haben sie ihre ganz eigene Kultur. Und schließlich gastfreundlich. Die Erfahrung habe ich hier sehr oft gemacht. Die Luxemburger haben uns sehr herzlich aufgenommen und bei der Integration geholfen. Das war fantastisch.

Was steht auf Ihrer To-do-Liste für die nächsten fünf Jahre?

In wissenschaftlicher Hinsicht: Konsolidierung. Ich möchte unsere Forschungsaktivitäten stabilisieren und die Veränderungen, die wir anstoßen wollen, fortführen, damit chemische Informationen besser zugänglich werden. Wir sind schon gut vorangekommen, sind aber noch nicht am Ziel. Wir werden uns weiter der Suche nach dem Unbekannten widmen, anstatt anderen nur dabei zu helfen, bekannte Chemikalien zu finden, wie wir es im Grunde im Moment tun. Ich würde auch gerne unsere Zusammenarbeit mit dem Wasserwirtschaftsamt (AGE) fortsetzen, um eine nicht zielgerichtete Überwachung in Luxemburg einzuführen. Schön wäre es, wenn die nicht zielgerichtete Überwachung in 5 Jahren routinemäßig durchgeführt werden könnte – das sollte erreichbar sein. Dann können wir in den Jahren danach noch anspruchsvollere Projekte angehen!

Vielen Dank Emma Schymanski, dass Sie sich Zeit für dieses Gespräch genommen haben!

Dieses Interview wurde für die Zwecke des vorliegenden Artikels bearbeitet.

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