Luxemburgisches industrielles Erbe im Großherzogtum... und in Brasilien (I) Auf den geschichtlichen Spuren der Stahlindustrie Luxemburgs anhand des industriellen Erbes im Süden
Im Süden des Großherzogtums Luxemburg erstreckt sich das Land der Roten Erde (Terres rouges), von den Luxemburgern Minett genannt, dessen Name auf das leuchtende Erz zurückgeht, das den Grundstein für die Stahlindustrie in Luxemburg legte. Die Region offenbart ein großartiges industrielles Erbe, das nunmehr in diverse touristische und kulturelle Örtlichkeiten verwandelt wird. Im Rahmen des Programms Remix Esch2022 in Zusammenarbeit mit der Universität Luxemburg lernen wir ebenfalls das luxemburgische industrielle Erbe in Brasilien kennen: die mysteriöse colônia luxemburguesa João Monlevade.
Wir begeben uns nunmehr auf die (Wieder-)Entdeckung der Geschichte der nationalen Stahlindustrie, um die Neugestaltung symbolträchtiger Orte im Süden zu verstehen, und wir präsentieren in einem zweiten Artikel eine tropische Version des luxemburgischen industriellen Südens... in Brasilien!
Kleine Einführung in die Stahlindustrie in Luxemburg
Das Verständnis, die Aufwertung und Würdigung des materiellen Erbes, über das das Großherzogtum heute verfügt, geht unweigerlich mit dem Wissen um seine industrielle Geschichte einher. Zur besseren Einordnung des Kontextes, hier ein Überblick über die Stahlindustrie in Luxemburg.
Das Jahr 1839 war für Luxemburg entscheidend. Infolge des Vertrags von London, der in eben diesem Jahr unterzeichnet worden war, hatte das Land keine territoriale Verbindung zu den Niederlanden mehr und musste für ein wirtschaftliches Fundament sorgen. Damals war das Land im Wesentlichen landwirtschaftlich geprägt und besaß nur einige kleine Industrien. Nach dem Beitritt zum Deutschen Zollverein im Jahr 1842 stellte ihm Deutschland das für den Ausbau der Schwerindustrie notwendige Kapital und die entsprechenden Arbeitskräfte zur Verfügung. Mit der Einweihung der ersten Eisenbahnlinie im Jahr 1859, mit der die geografische Isolation überwunden werden konnte, waren die Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Aufschwung fortan geschaffen. Die industrielle Revolution in Luxemburg begann schließlich mit der Entdeckung von Eisenerzvorkommen im Süden des Landes Anfang der 1840er Jahre. Ab 1870 wurden große Hüttenwerke im Minettbecken gebaut, und unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg gehörte Luxemburg bereits weltweit zu den sechs größten Erzeugerländern! 1911 entstand durch die Fusion mehrerer Unternehmen die ARBED (Aciéries réunies de Burbach, Eich et Dudelange – Vereinigte Hüttenwerke Burbach, Eich und Düdelingen), die sich zum wichtigsten Akteur der Luxemburger Eisen- und Stahlindustrie entwickeln sollte. 1919 trat das Land aus dem Zollverein aus und unterzeichnete 1921 den Vertrag zur Belgisch-Luxemburgischen Wirtschaftsunion, die noch heute Bestand hat. Bis zur Wirtschaftskrise der 1970er Jahre blieb die Eisenindustrie das Rückgrat der luxemburgischen Wirtschaft. Zwischen 1974 und 1992 ging die Eisenproduktion um mehr als 50% zurück, und schließlich wurde der letzte Hochofen im Jahr 1997 stillgelegt.
Die industrielle Geschichte Luxemburgs, nunmehr Kulturerbe
Die industrielle Revolution brachte eine radikale Änderung in der Landschaft des luxemburgischen Südens mit sich, und die materiellen Zeugnisse der industriellen Geschichte des Landes spielen nach wie vor eine wichtige Rolle. Die großen Stahl- und Bergbauzentren des Landes, die über 100 Jahre lang die Antriebskräfte der Wirtschaft waren, stellen in der Tat heute ein industrielles Erbe dar, das Luxemburg bewahrt und aufwertet.
Der Stadtteil Belval in Esch-sur-Alzette und die Stadt Düdelingen zeigen zwei Ansätze für die Aufwertung dieser Industriebrachen.
Belval
Die Geschichte von Belval ist faszinierend. Der Escher Bësch, gegen 1850 ein Naherholungsgebiet zwischen Belvaux und Esch, hat sich 1909 zu DEM Schauplatz der Moderne gewandelt: eine Eisenhütte mit Hochöfen, Stahlwerk und Walzwerk. Im Jahr 1913 produzierten über 3.000 Arbeiter insgesamt 400.000 Tonnen Gusseisen, 360.000 Tonnen Stahl und 297.000 Walzerzeugnisse! Belval war sogar Zeuge des Europäischen Einigungsprozesses: 1953 nahm Jean Monnet den ersten Hochofenabstich der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vor. Nach den Wirtschaftskrisen der 1970er Jahre wurden die Hochöfen nach einem letzten symbolischen Hochofenabstich im Jahr 1997 stillgelegt. Die Überlegungen zur Neugestaltung beginnen!
Was hat seitdem in Belval geändert? Der Stadtteil ist nunmehr ein Zentrum für Know-how und wissenschaftliche Forschung, Wohnraum und ein Ort der Kultur und des Lernens.
Was das Know-how anbelangt, finden wir dort beispielsweise nicht nur die wichtigsten wissenschaftlichen Institute und Forschungszentren Luxemburgs, sondern auch den Unternehmensinkubator Technoport und das Luxembourg Learning Centre, die Bibliothek des Campus Belval der Universität Luxemburg. Der Standort hat sich als eines der bedeutendsten Entwicklungszentren des Großherzogtums und der Großregion etabliert.
Was die Neugestaltung unter einem kulturellen Blickwinkel anbelangt, stellte die Einweihung der Rockhal, dem größten Konzertsaal Luxemburgs, im Jahr 2005 einen Wendepunkt dar. Nach umfassenden Renovierungsarbeiten erstrahlte der Hochofenstandort 2014 in neuem Glanz. Eingenistet im Herzen des neuen städtischen Umfelds steht er nunmehr Besuchern offen und wartet mit einem pädagogischen Rundgang über die Vergangenheit der Stahlproduktion in Belval auf.
Zwei der im Rahmen von Esch2022 sanierten Örtlichkeiten sind derzeit ebenfalls in aller Munde. Es handelt sich um die Massenoire, eine ehemalige Halle für die Produktion der Stichlochmasse (auch schwarze Masse genannt, da sie auf Basis von Teer hergestellt wurde), und die Möllerei, die in der Vergangenheit zur Lagerung der Brennstoffe und Mineralerze diente, die für die kontinuierliche Speisung des Hochofens notwendig waren. Diese Säle sind im Verlauf des Jahres 2022 Schauplätze für zahlreiche Ausstellungen und Aktivitäten sein. Verpassen Sie keinesfalls den Veranstaltungskalender Esch2022!
Düdelingen
Die Stadt Düdelingen ist eine der Wiegen der Stahlindustrie Luxemburgs. Die Ursprünge der ARBED gehen mit der Gründung des Eisenhütten-Aktien-Vereins Düdelingen im Jahr 1882 auf das Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Dieses Stahlwerk kann als Mutter der ARBED, heutzutage ArcelorMittal, angesehen werden!
Der geschichtsträchtige Ort von damals ist nunmehr ein Schauplatz für Kunst. Der Waassertuerm (Wasserturm) und das Pomhouse (Pumpenhaus) des ehemaligen Stahlwerks wurden saniert und bieten Platz für Ausstellungen. Der 1928 errichtete Wasserturm ist demnach weiterhin ein Fixpunkt in der Landschaft des Südens und ein Symbol für die Stadt!
Die Migrationsbewegungen im Zentrum des wirtschaftlichen Aufschwungs
Die Industrialisierung veränderte auch die demografischen und sozialen Strukturen des Landes. Nach der Entdeckung der Erzvorkommen im Süden kehrten die Bauern aus dem Norden ihren Feldern den Rücken, um in den Minen und Hüttenwerken zu arbeiten. Allerdings reichten die einheimischen Arbeitskräfte nicht aus. Somit wurde Luxemburg ab den 1890er Jahren zu einem Einwanderungsland. Die Einwanderer kamen in mehreren Wellen: zuerst die Deutschen, dann die Italiener und schließlich in den 60er Jahren die Portugiesen.
In Düdelingen ist Kleinitalien ein Beispiel für eine Arbeiterkolonie, die zur Beherbergung dieser riesigen Menge an neuen Arbeitnehmern errichtet wurde. Dieses Ende des 19. Jahrhunderts entstandene Viertel, das damals zwischen dem Hüttenwerk und der Mine angesiedelt war, stellt ein wesentliches Zeugnis für die Geschichte der Migrationen im Großherzogtum dar. In diesem Rahmen ist ein Besuch des Dokumentationszentrums für menschliche Migrationen ein absolutes Muss, um etwas über die Auswirkung der Migrationen im Zusammenhang mit der Entwicklung Luxemburgs zu erfahren. Ohne die Einwanderer, die noch heute einen bedeutenden Teil der Bevölkerung ausmachen, hätte es in Luxemburg in der Tat keinen industriellen Aufschwung und keinen damit zusammenhängenden wirtschaftlichen Höhenflug gegeben.
Eine Migrationswelle, die zwar ebenfalls mit der industriellen Geschichte Luxemburgs verbunden, aber deutlich weniger bekannt ist, ist die Abwanderung von Luxemburgern nach Brasilien, um die es in diesem zweiten Artikel über das luxemburgische industrielle Erbe geht.
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